Klimawandel und Grundeigentum, Prof. Dr. Wolfgang Köck

Die Rechtslage nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2021

Wolfgang Köck

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit seiner Entscheidung vom 24. März 2021 den Klimaschutz gestärkt. Dabei hat es maßgeblich auf den Schutz der Freiheitsrechte abgestellt, indem es angesichts der fortschreitenden Treibhausgasemissionen und der begrenzten planetaren Aufnahmekapazitäten die Notwendigkeit einer Treibhausgasemissionsbewirtschaftung betonte und eine faire Lastenverteilung zwischen den gegenwärtigen und den künftigen Umweltnutzern mit grundrechtlichen Argumenten begründete. Die vom BVerfG verlangte intergenerationelle Freiheitssicherung hat auch Auswirkungen auf die Nutzung des Grundeigentums; sofern die Eigentumsnutzung mit der Emission von Treibhausgasen bzw. der Erhaltung von Treibhausgassenken verbunden ist, wie es beispielsweise bei der Landwirtschaft bzw. der Forstwirtschaft der Fall ist.

Die Entscheidung aus Karlsruhe ist weltweit diskutiert worden und hat nicht nur in Deutschland die Frage aufgeworfen, welche Konsequenzen diese Entscheidung für die künftige Klimaschutz- und die Klimaanpassungspolitik haben wird und ob die Entscheidung über die Klimapolitik hinaus rechtliche Wirkungen entfaltet. Diesen Fragen soll hier primär mit Blick auf die Nutzung und den Schutz des Grundeigentums nachgegangen werden.

1.    Der BVerfG-Beschluss und die Folgen für die Klimaschutzpolitik

Schauen wir zunächst auf die Folgen für die Klimaschutzpolitik (Treibhausreduktionspolitik), so ist nach der Karlsruher Entscheidung klar, dass die Grundrechte nun auf beiden Seiten stehen: auf der Seite derer, die die Umwelt heute nutzen und Treibhausgase emittieren bzw. Teibhausgase durch Grünlandwirtschaft und Waldwirtschaft binden, und auf der Seite derer, die sie morgen nutzen wollen und dann angesichts der Emissionsbelastungen durch die heutigen Nutzer nicht „mit leeren Händen“ dastehen dürfen.

Wie immer, wenn Grundrechte gegen Grundrechte stehen, muss es für die Politik um einen verhältnismäßigen Ausgleich zwischen kollidierenden Rechten gehen. Im Klartext bedeutet das, dass die heute wirtschaftende Nutzergeneration mehr tun muss, um das Klima zu schützen, damit auch für die, die morgen wirtschaften werden, noch Handlungsspielräume übrig bleiben. Bei Familienbetrieben, wie wir sie insbesondere aus der Landwirtschaft, aber auch der Forstwirtschaft kennen, ist dieser intergenerationelle Gedanke ohnehin prägend, in der Forstwirtschaft sogar die Geschäftsgrundlage des Wirtschaftens. Gleichwohl müssen die heute wirtschaftenden Betriebe der Land- und Forstwirtschaft zahlungsfähig bleiben, damit die Wirtschaft an die nächste Generation weitergegeben werden kann. Deshalb haben die heute wirtschaftenden Grundeigentümer einen Anspruch darauf, dass die klimapolitischen Eingriffe verhältnismäßig sind. Auf die Verhältnismäßigkeit kann die Klimapolitik dadurch Einfluss zu nehmen, dass sie den Übergang in eine treibhausgasneutrale Wirtschaft mit staatlichen Fördermitteln abfedert, um die Lasten verträglich zu halten.

Somit ist festzuhalten, dass die Entscheidung aus Karlsruhe zwar die Rechte der jüngeren Generation gestärkt, aber die heute wirtschaftende Generation nicht rechtlos gestellt hat. Was verhältnismäßig ist und damit den heute Wirtschaftenden zugemutet werden darf, hängt allerdings maßgeblich auch davon ab, wie gefährlich der Klimawandel für das Leben und Handeln auf unserem Planeten ist. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Emission von Treibhausgasen globale Wirkungen hat und dass die Wirkungen – jedenfalls nach menschlichem Zeitmaß – irreversibel sind, weil die Treibhausgase in der Atmosphäre kumulieren und natürliche Abbauprozesse – insbesondere mit Blick auf das bedeutendste Treibhausgas CO-2 – sehr viel Zeit benötigen. International hat man sich daher auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt und sich dazu verpflichtet, alle Anstrengungen zu unternehmen, die durchschnittliche globale Erderwärmung durch die Emission von Treibhausgasen auf möglichst 1,5° C., jedenfalls aber deutlich unter 2° C., zu halten. Daraus ergibt sich eine völkerrechtlich vereinbarte gemeinsame Bewirtschaftungsaufgabe, deren präziser staatlicher Anteil zwar international nicht festgelegt worden, aber grundsätzlich berechenbar ist („Budgetansatz“). Zwar mag man politisch noch darüber streiten können, welches der richtige Maßstab für das eigene staatliche Budget ist (Bevölkerungsanteil, Anerkennung besonderer Bedarfe, etc.), die Bewirtschaftungsperspektive als solche ist aber durch das völkerrechtliche Abkommen von Paris im Jahre 2015 dem Grunde nach anerkannt. Rechtlich anerkannt ist zudem auch die Inbezugnahme der besten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Treibhausgasbelastung der Atmosphäre und deren Folgen. All dies sind wichtige Eckpunkte, die für die rechtliche Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Klimaschutzmaßnahmen heranzuziehen sind.

2.    Der BVerfG-Beschluss und die Folgen für die Klimaanpassungspolitik

Schauen wir zweitens auf die Folgen für die Klimawandelanpassungspolitik: Wir wissen heute, dass auch eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik, also ein zielgerichtetes Zusammenwirken aller wichtigen Staaten, in deren Hoheitsbereich Treibhausgase emittiert werden, Anpassungsmaßnahmen nicht entbehrlich macht. Die durchschnittliche globale Erderwärmung gegenüber der vorindustriellen Phase beträgt schon heute etwa 1° C. und die Folgen in Form von Extremwetterereignissen sind schon deutlich spürbar durch den Anstieg und die Intensität von Dürre- und Hochwasserereignissen, durch einen räumlich veränderten Wasserhaushalt, durch eine temperaturbedingte Verschiebung der Artenzusammensetzung und nicht zuletzt auch durch zunehmenden Hitzestress und Gesundheitsbelastungen infolge gestiegener Temperaturen. Anpassungen sind also schon jetzt nötig und geboten. Am deutlichsten ist uns dies bewusst geworden durch die dramatischen Hochwasserereignisse der letzten 20 Jahre und den Bemühungen um ein darauf abgestimmtes Hochwasserrisikomanagement. Gelingt es, die Erderwärmung auf 1,5° C. zu begrenzen, werden die Folgen der Erderwärmung dennoch vermutlich größer sein, als sie es im Moment schon sind. Gelingt es nicht, das 1,5°-Ziel zu erreichen, werden die Anpassungsanstrengungen umso größer ausfallen müssen.

Auch mit Blick auf das Anpassungsproblem sind die vom BVerfG entwickelten Grundsätze anwendbar, weil der Klimawandel irreversibel und weil die Anpassungslasten zunehmen, also die jüngere Generation deutlich stärker treffen werden. Eine halbherzige, nicht an die internationalen Verpflichtungen orientierte Klimaschutzpolitik greift daher in die Grundrechte derjenigen ein, die sich nun in besonderer Weise anpassen müssen, weil zuvor nicht genug getan worden ist. Die Anpassungserfordernisse gehen insbesondere zu Lasten der Landnutzung und treffen daher die Landwirtschaft (50% der gesamten Landnutzung in Deutschland) und auch die Forstwirtschaft (30% der gesamten Landnutzung in Deutschland) in besonderer Weise. Bei den klimabedingten Waldschäden ist uns dies schon schmerzlich bewusst geworden: ein Waldumbau ist nötig, hin zu einem Wald der robuster und damit „klimaresilient“ ist. Waldeigentümer, soweit es sich dabei nicht um Staatswald oder Körperschaftswald, also Wald im öffentlichen Eigentum, handelt, können auf der Grundlage des Klimaschutzbeschlusses geltend machen, durch eine defizitäre Klimaschutzpolitik in ihren Eigentumsrechten verletzt zu sein. Der Staat wiederum kann durch eine staatliche Förderung der Waldumbaupolitik die Verhältnismäßigkeit seines durch Unterlassung oder durch Schlechthandeln bewirkten Eingriffs sicherstellen. Grundrechte wirken also auch hier nicht ausschließlich zugunsten derjenigen, die das Klima belasten, sondern auch zugunsten derjenigen, die durch den Klimawandel zu besonderen Anpassungsanstrengungen gezwungen werden. Was für den Wald und die Forstwirtschaft gilt, gilt vice versa auch für den Acker und die Landwirtschaft. Die Anpassung an den Klimawandel ist allerdings, wie bereits angedeutet, nicht stets grundrechtsrelevant, sondern nur dann, wenn die staatliche Politik hinter den internationalen Verpflichtungen zurückfällt; denn einen allgemeinen Anspruch darauf, dass sich die Umwelt und die Umgebung nicht verändern, kennt unsere Rechtsordnung nicht. Ob sich aus dem Klimabeschluss zudem auch neue Perspektiven für die Staatshaftung ergeben, muss hier offenbleiben. Deutlich muss aber gesagt werden, dass eine ambitionierte Klimapolitik diejenigen schützt, die von der Landnutzung leben, weil jede vermiedene Emission von treibhausgasen die Anpassungslasten für die Land- und Forstwirtschaft senkt.

3.    Der BVerfG-Beschluss und die Folgen für die sonstige Umweltpolitik

Schauen wir schließlich noch kurz auf die Folgen für den Umweltschutz jenseits des Klimaschutzes. Hier ist zunächst einmal festzuhalten, dass das Problem des anthropogenen Klimawandels einige Spezifika aufweist, die nicht ohne Weiteres auf alle Umweltprobleme übertragen werden können, wie z.B. die Irreversibilität der Einwirkung und die Möglichkeit der Berechnung eines Treibhausgasbudgets mit klar zurechenbaren Wirkungen auf spätere Nutzungsmöglichkeiten bzw. Nutzungsbegrenzungen. Nur in einer solchen Konstellation lässt sich mit der vom BVerfG entwickelten Figur des vorwirkenden Grundrechtseingriffs und der intergenerationellen Freiheitssicherung arbeiten. Übertragungen auf andere Umweltprobleme erfordern vergleichbare Konstellationen. Ob es solche gibt, bedarf näherer Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann.

Ob das Kriterium der Irreversibilität für sich allein schon ausreichen kann, um sich auf den Neuansatz des BVerfG berufen zu können, ist zweifelhaft. Dies zeigt das Beispiel des Biodiversitätsschutzes: Zwar ist der Verlust einer jeden Art, die infolge der Übernutzung der Umwelt und der mangelnden Rücksichtnahme auf die Natur eintreten kann, irreversibel, ob sich daraus aber Konsequenzen für die für das Funktionieren grundlegender Ökosystemfunktionen und damit für den Freiheitsgebrauch der jüngeren Generation ergeben, dürfte nicht so einfach zu beantworten sein. Zudem ist bislang trotz verschiedener völkerrechtlicher Abkommen zum Schutz der Biodiversität – anders als im Bereich der Klimapolitik – ein verbindliches quantifiziertes Ziel der Biodiversitätssicherung nicht festgelegt worden, so dass insoweit ein Maßstab fehlt, der als verfassungsrechtliches Gebot anerkannt werden könnte. Das defizitäre Risikowissen über die Bedeutung einzelner Arten für die Funktionsfähigkeit von Ökosystemen wirkt sich zugunsten der Freiheit und damit auch zugunsten der Nutzung des Grundeigentums aus, und auch das Vorsorgeprinzip ist kein allfälliger Grundsatz, der fehlende rechtliche Weichenstellungen ohne Weiteres kompensieren könnte.

Durch die BVerfG-Entscheidung ist zwar der Umweltschutz verfassungsrechtlich gestärkt worden, aber nicht alles ist verfassungsrechtlich determiniert. Auf eine kluge und verantwortungsvolle Umweltpolitik wird es auch weiterhin ankommen. Der Schutz der Umwelt ist nicht nur eine Rechtsfrage, sondern bleibt wesentlich auch eine politische Frage.


* Prof. Dr. Wolfgang Köck leitet das Department Umwelt- und Planungsrecht am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ in Leipzig und lehrt Umwelt- und Planungsrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig.


Klimawandel und Grundeigentum, Prof. Dr. Wolfgang Köck (Artikel als PDF-Dokument)