„Sustainable Finance“ als effizienter Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft?

„Sustainable Finance“ als effizienter Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft?

Vor einem halben Jahrhundert veröffentlichte der US-amerikanische Ökonom Milton Friedman seine viel beachtete Shareholder-Value-Doktrin. In dieser beschreibt er, dass die Hauptverantwortung eines Unternehmens allein bei seinen Eigentümern liege und die Maximierung des Unternehmenswerts einziges Ziel der Unternehmensleitung sein müsse. Würden Manager als Verwalter des ihnen anvertrauten Kapitals Geld für ökologische oder soziale Zwecke ausgeben, so würden sie die Aktionäre enteignen. Als knapp 50 Jahre später, im Sommer 2019, die CEOs namhafter US-amerikanischer Großkonzerne beim sogenannten Business Roundtable zusammenkamen und medienwirksam die Abkehr vom Shareholder-Value propagierten, schien es, als habe man ausgerechnet in den USA dem Gewinnstreben abgeschworen. Nicht die Maximierung des Aktionärsgewinns, sondern die Steigerung des Wertes für die Gesamtgesellschaft sei zentraler Zweck unternehmerischen Handelns. Kurzum: Unternehmerisches Eigentum hätte fortan wieder allen Amerikanern zu dienen. Doch dürften es nicht zuletzt kaufmännische Überlegungen gewesen sein, die die Manager in Anbetracht des spürbaren gesellschaftlichen Wertewandels dazu brachten, den Fokus auf alle Stakeholder zu erweitern. Unternehmen, die ökologische und soziale Standards missachten und sich nicht um Grundsätze guter Unternehmensführung scheren, handelten auch gegen Eigentümerinteressen. Zudem profitieren Aktionäre seit jeher von effizientem Ressourceneinsatz, hoher Zufriedenheit unter Kunden und Lieferanten sowie der Investition in die Fortbildung ihrer Mitarbeiter. Die Motivation, sich derart öffentlichkeitswirksam der Gesellschaft als Ganzes zu verpflichten, dürfte auch damit zu tun gehabt haben, dass die US-Manager mit Blick nach Europa eine potenzielle Welle strikterer Regulierung im Bereich ESG (Environmental, Social, Governance) auf sich haben zurollen sehen.

EU Green Deal & Sustainable Finance

Denn die Europäische Union hat Großes vor. Nicht nur sollen die Ziele des Pariser Klimaabkommens einer Erderwärmung von deutlich unter 2°C gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter bis zum Jahr 2030 erreicht werden, auch möchte die EU-Kommission Europa bis zum Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent machen. Um diese ambitionierten Ziele zu erreichen, wurde im Jahr 2018 der Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums (Sustainable Finance) auf den Weg gebracht. Da der gewaltige Investitionsbedarf von schätzungsweise 260 Mrd. Euro pro Jahr nicht allein durch den öffentlichen Sektor gestemmt werden kann, soll die Privatwirtschaft als Katalysator eines auf nachhaltige Entwicklung ausgerichteten Strukturwandels fungieren. Konkret werden Banken und Investoren in die Pflicht genommen, Finanzströme fortan vermehrt in nachhaltigere Technologien und Unternehmen umzulenken.

Doch was ist nachhaltiges Wirtschaften überhaupt?

Die EU-Kommission versucht mit der EU-Taxonomie zu einer einheitlichen Auffassung hierüber zu gelangen. In diesem Klassifikationssystem werden Wirtschaftsaktivitäten nach ihrer Nachhaltigkeit eingeordnet. Die Taxonomie sieht eine Wirtschaftsaktivität immer dann als nachhaltig, wenn sie einen wesentlichen Beitrag zu mindestens einem von insgesamt sechs Umweltzielen leistet, ohne den anderen zuwiderzulaufen. Konkretisiert wird die Ausgestaltung durch Kriterienkataloge, die von der Technical Expert Group entwickelt wurden. Für die Land- und Forstwirtschaft umfasst der Katalog technischer Kriterien allein in Bezug auf das Umweltziel „Klimaschutz“ mehr als 100 Seiten.

Standardisierte Begrifflichkeiten sollen Vertrauen und Transparenz unter Investoren schaffen und die Gefahr des Greenwashing mindern. Dass diese Gefahr real ist, lässt die Entwicklung der in Nachhaltigkeitsfonds investierten Gelder vermuten. So wuchs das verwaltete Vermögen europäischer ESG-Fonds im vergangenen Jahr um mehr als 50 Prozent, während das Gesamtvolumen aller Fonds nur um drei Prozent anwuchs. So kommt ein Großteil des Wachstums aus Umwidmungen bereits bestehender Anlagen, bei denen sich bis auf die Bezeichnung, die um Akronyme wie ESG, SRI oder CSR erweitert wurde, nicht viel geändert haben dürfte. Es überrascht daher nicht, dass laut Forum für Nachhaltige Geldanlagen (FNG) in Deutschland zuletzt nur 18 Prozent der Nachhaltigkeitsfonds ein Qualitätssiegel auswiesen.

Eine einheitliche Definition von Nachhaltigkeit fehlt

Einen anschaulichen Beleg dafür, dass es bislang keine einheitliche Vorstellung darüber gab, was unter dem Begriff der Nachhaltigkeit zu verstehen ist, liefern die Urteile der ESG-Ratingagenturen. Betrachten wir beispielsweise die Noten für verschiedene Automobilhersteller, so zeigt sich, dass das Unternehmen General Motors bei der Ratingagentur MSCI ESG gerade einmal sechs von 100 möglichen Punkten bekommt, während die Ratingagenturen Sustainalytics 59 von 100 Punkten und RobecoSAM 90 von 100 Punkten vergeben. Der E-Auto Pionier Tesla wiederum fällt bei RobecoSAM mit nur 13 von 100 Punkten durch, während das Unternehmen bei Sustainalytics auf 24 und bei MSCI gar auf 71 von 100 Punkten kommt. Würde man auf Basis der Einschätzungen der drei Agenturen eine Liste der jeweils 100 nachhaltigsten Unternehmen des MSCI World Aktienindex erstellen, so würde diese Liste 236 unterschiedliche Namen aufführen. Die Schnittmenge der Unternehmen, die bei allen drei Anbietern unter den Top 100 auftauchen, ist mit sieben Unternehmen hingegen sehr gering. Da die Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens künftig verstärkt Berücksichtigung finden soll, wird den ESG-Urteilen eine Schlüsselrolle bei der Kapitalvergabe zufallen. Man darf jedoch begründete Zweifel haben, dass sich der komplexe Begriff der Nachhaltigkeit tatsächlich in einem Punktwert erfassen lässt. Ist ein Unternehmen, das ökologischer Champion ist, jedoch wenig in den Arbeitsschutz investiert nachhaltiger oder weniger nachhaltig als ein Unternehmen, das einen überdurchschnittlich hohen Wasserverbrauch hat, dafür aber eine hohe Frauenquote im Vorstand ausweisen kann?

Bei allen Unterschieden in der Bewertung stechen bei den Ratings zwei Gemeinsamkeiten ins Auge. Größere Unternehmen schneiden im Durchschnitt deutlich besser ab, als kleinere und europäische Unternehmen erhalten signifikant bessere Bewertungen, als US-amerikanische. Die hohen Punktwerte europäischer Großkonzerne dürften insbesondere auf die umfangreiche Berichterstattung zu ESG-Themen zurückzuführen sein, die europäische Großkonzerne seit 2017 leisten müssen. Diese Pflichten werden im kommendem Jahr durch die überarbeitete Non-Financial Reporting Directive (NFRD) ausgeweitet. So müssen Unternehmen künftig über den Anteil ihrer Umsätze, Investitionen und Ausgaben berichten, die gemäß der EU-Taxonomie als nachhaltig gelten. Investoren sollen so relevante, verlässliche und vergleichbare Informationen vermittelt bekommen, die eine informierte Investitionsentscheidung hinsichtlich der Nachhaltigkeit des Geschäftsmodells und damit seiner Finanzinstrumente ermöglichen. Zwar gilt diese Vorgabe derzeit nur für große Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, doch dürfte die Richtlinie auch auf kleinere Unternehmen durchschlagen. Denn Banken und Investoren werden ab März 2021 durch die EU-Offenlegungs-Verordnung (SFDR) darüber berichten müssen, wie sie Nachhaltigkeitsrisiken im Investmentprozess berücksichtigen und wie sie mit negativen Auswirkungen auf Nachhaltigkeitsfaktoren umgehen. Zudem müssen die Gesellschaften den Anleger zu seinen Nachhaltigkeitspräferenzen befragen und ihm die Auswirkungen der Nachhaltigkeitsrisiken auf die erwartete Rendite einer Anlage erläutern. Wie dies funktionieren soll, wenn selbst spezialisierte Ratinganbieter es kaum vermögen, die vergangene Nachhaltigkeitsleistung eines Unternehmens unisono zu bewerten, bleibt das Geheimnis des Regulators.

Ein effizienter Hebel für eine nachhaltigere Wirtschaft?

Der Wirkungsmechanismus von Sustainable Finance sieht vor, dass sich die Finanzierungskonditionen für Unternehmen, die zu einem besonders hohen Anteil taxonomiekonformen Aktivitäten nachgehen, verbessern sollten. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sich die Bedingungen für viele Unternehmen, die die umfangreichen Berichtsanforderungen nicht stemmen können, verschlechtern werden. Banken und Versicherungen werden im Hinblick auf die Kapitalüberlassung bzw. Versicherbarkeit von Risiken nicht nur vermehrt Nachhaltigkeitsinformationen einfordern, sondern sich ebenso durch Zins- und Prämienaufschläge gegen höhere Nachhaltigkeitsrisiken absichern müssen. Fraglich ist zudem, wer für die Richtigkeit der Nachhaltigkeitsangaben einstehen muss. Bislang unterliegen die kaum standardisierten nichtfinanziellen Erklärungen wohl aus gutem Grund keiner inhaltlichen Prüfungspflicht.

Der wohl größte und zugleich effiziente Hebel für eine nachhaltigere Wirtschaft liegt bei den Konsumenten und Produzenten. In einer Marktwirtschaft sollten sie entscheiden, welche Aktivitäten angeboten und nachgefragt und welche vom Markt verschwinden sollten. Der stetig wachsende Anteil von Bio-Lebensmitteln, Öko-Strom oder nachhaltiger Mobilität zeigt, dass sowohl das Bewusstsein für nachhaltigeren Konsum als auch eine erhöhte Zahlungsbereitschaft für umwelt- und sozialverträglich hergestellte Produkte gegeben sind. Angebotsseitig beweisen die Unternehmen stetig, wie innovativ sie das Thema Nachhaltigkeit begleiten. Entscheidend im Sinne einer nachhaltigeren Wirtschaft wäre jedoch, dass alle durch den Produktionsprozess verursachten Kosten im Preis eines Gutes Berücksichtigung finden. Dies ist bislang nicht der Fall, da etwa die Kosten für die Nutzung des Kollektivguts Umwelt weitgehend externalisiert werden, also von der Gesellschaft und künftigen Generationen getragen werden. Eine auf EU-Ebene in Gang kommende Diskussion um die europaweite Ausweitung des Emissionshandels auf weite Teile der Wirtschaft erscheint hierbei ebenso sinnvoll wie die Berücksichtigung der CO2-Speicherfunktion von Böden und Wäldern. Somit würden Verbrauch und Erzeugung des Kollektivgutes Umwelt auch kaufmännische Berücksichtigung finden und CO2 kosteneffizient reduziert werden.

Rund um den Themenkomplex Sustainable Finance bleiben viele offene Fragen

Gibt es überhaupt genügend Projekte, die nicht nur hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeitsmerkmale, sondern auch unter klassischen Rendite-/Risikogesichtspunkten attraktiv sind und Investoren anlocken? Was wird aus Projekten, die die Vorgaben der grünen Taxonomie nicht erfüllen? Werden Sie vom Markt verschwinden oder locken die niedrigen Preise nicht taxonomiekonformer Aktivitäten wenig regulierte Investoren wie Hedge-Fonds oder Private Equity an? Die alles entscheidende Frage ist wohl: Macht es in Anbetracht der enormen Kosten und des bürokratischen Aufwands Sinn, die europäische Wirtschaft zentralplanerisch umzubauen, wo doch 90 Prozent der CO2-Emissionen außerhalb Europas verursacht werden? Zumindest die Antwort des Wirtschaftsliberalen Milton Friedman auf diese Frage wäre klar.

 

Autor: Kai Lehmann, Senior Research Analyst am Flossbach von Storch Research Institute

„Sustainable Finance“ als effizienter Hebel für eine nachhaltige Wirtschaft?, Kai lehmann (Artikel als PDF-Datei)