Sollten medizinische Patente geschützt werden?

CONTRA

Sandra Dworack, Expertin für Entwicklungspolitik bei Oxfam Deutschland

Die COVID-19-Pandemie hat die Welt weiterhin fest im Griff. Dabei haben wir das Mittel, um sie zu beenden: Gefördert mit viel Steuergeld haben Unternehmen in Rekordzeit Impfstoffe entwickelt. Doch sie helfen Menschen nicht, die hierzu keinen Zugang haben. Während in Deutschland Zweidrittel der Bevölkerung geimpft sind, sind es in den ärmsten Ländern der Welt nur 2,5 Prozent.

Der Grund: Es gibt nicht genug Impfstoff zu erschwinglichen Preisen, weil Biontech/Pfizer, Moderna und Co. monopolartig steuern, wie viel produziert wird und was eine Dose kostet. Diese künstliche Beschränkung des Angebots führt täglich zu Tausenden vermeidbaren Todesfällen und abertausenden Fällen, bei denen die Betroffenen unter langfristigen Gesundheitsschäden leiden.

Impfstoff-Spenden werden dieses Problem nicht lösen. Die Covax-Initiative scheiterte krachend an ihrem bescheidenen Ziel, Vakzine für 30 Prozent der Weltbevölkerung bereitzustellen. Auch Lizenzvereinbarungen mit einzelnen Herstellern sorgen nicht für ausreichendes Angebot und fallende Preise. Deshalb ist es unerlässlich, dass Länder des Globalen Südens in die Produktion einsteigen. Dort gibt es qualifizierte Hersteller, die in der Lage sind, sichere und wirksame Impfdosen herzustellen.

Hierfür muss der Patentschutz von COVID-19-Impfstoffen vorübergehend ausgesetzt werden, wie dies seit Monaten über 100 Länder, die Weltgesundheitsorganisation und zahlreiche Expert*innen fordern. Deutschland blockiert dies bislang. Die neue Bundesregierung muss den Weg dazu endlich frei machen.

 


PRO

Dr. Kai Joachimsen, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI) e.V.

Corona-Impfstoffe sind keine Limo-Rezepte, die man einfach 1:1 kopieren kann. Die Impfstoff-Herstellung ist ein sehr komplexer Prozess. In den Impfstoffen steckt jahrzehntelange Forschungsarbeit. Die dafür notwendige Technologie haben nur wenige Unternehmen – das gilt auch für das sorgfältig geschulte und hochqualifizierte Personal. Das lässt sich nicht in wenigen Monaten aufholen. Eine Zwangslizensierung zu anderen Herstellern würde mindestens zwölf Monate oder länger dauern, bis aus dieser Fertigung ein sicherer, qualitativ hochwertiger und hochwirksamer Impfstoff zur Verfügung stünde.

Pharmaunternehmen müssen auch künftig bereit sein, finanzielle Mittel in die teure und risikoreiche Entwicklung hochkomplexer Impfstoffe zu investieren. Das tun sie nicht, wenn die Staatengemeinschaft am Ende alles zwangslizensiert und hart erarbeitete Forschungsleistung in fremde Hände gibt.

Nicht Patente oder Schutzrechte, sondern der Mangel an Ausgangsstoffen und Lieferengpässe für benötigte Technologien standen einer Ausweitung der Produktion im Wege. Es fehlte an Rohstoffen, Glasfläschchen, Bioreaktor-Beuteln für Zellkulturen und vielem mehr. Daran hätten auch freigegebene Patente nichts geändert.

Die europäischen Pharmaunternehmen haben es geschafft, die Produktion durch die freiwillige Vergabe von Lizenzen an vertrauensvolle Partner anzukurbeln. Mit Erfolg: Bis 2022 werden genügend Impfstoffe für alle Erwachsenen auf allen Kontinenten zur Verfügung stehen.

 


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