Eigentum gestern – heute – morgen: Der langjährige Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats der Deutschen Stiftung Eigentum Prof. Dr. Otto Depenheuer im Gespräch mit seiner Nachfolgerin Prof. Dr. Judith Froese

Eigentum gestern – heute – morgen

 

Herr Professor Depenheuer, Sie gehörten 2002 zu den Gründungspersonen der Deutschen Stiftung Eigentum. Warum war die Stiftung damals erforderlich?

Depenheuer: Das Ziel der Stiftung Eigentum war und ist die Idee des privaten Eigentums wachzuhalten, auch und gerade vor dem Hintergrund des seinerzeitigen Offenbarungseides seiner Alter- native, des real existent gewesenen Sozialismus. Gerade in einer solchen Situation des Triumphes der Idee der persönlichen Freiheit und des privaten Eigentums gilt es sich der steten Gefährdung dieser Idee bewusst zu bleiben: „Erwirb es, um es zu besitzen“ formulierte es treffend Goethe. Da- her darf der Triumph des Privateigentums über die Idee des Kommunismus nicht als das Ende der Geschichte gesehen werden. Vielmehr müssen die prinzipiellen Gefährdungen und Herausforderungen, denen sich das Eigentum als Rechtsinstitut immer gegenübersehen wird, sowie die fortwirkenden Ressentiments gegen das Privateigentum überhaupt, gesehen und ihnen vorausschauend begegnet werden. Das ist umso schwieriger, je mehr an die Stelle offener Gegnerschaft das verdeckte, häufig unbewusste, im Einzelfall kaum erkennbare rechtskonstruktive und begriffliche Ressentiment die politische Auseinandersetzung bestimmt. So konnte der Boden dafür bereitet werden, heute via Volksentscheid offensiv einer Enteignung resp. Sozialisierung des Wohnungseigentums das Wort zu reden.

Frau Professorin Froese, was wollen Sie als neue Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirats mit der Deutschen Stiftung Eigentum erreichen?

Froese: Die Deutsche Stiftung Eigentum hat sich der Eigentums- und Freiheitsidee verschrieben und betont gerade den Zusammenhang von Freiheit und Eigentum. Diese Bedeutung der Eigentumsgarantie des Grundgesetzes hebt das Bundesverfassungsgericht in seiner ständigen Rechtsprechung hervor, wenn es davon spricht, dass sie dem Einzelnen einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern soll. Das Eigentum war aber auch immer Gegenstand politischer Auseinandersetzung und gegenwärtig wie auch künftig wird sich das Eigentum der Kritik ausgesetzt sehen. Aus (rechts-)wissenschaftlicher Perspektive ergeben sich immer wieder neue Herausforderungen, das Verhältnis von Eigentum und öffentlichen Interessen auszubalancieren – sei es angesichts des Klimawandels, der Energiekrise, der Wohnraumbedürfnisse oder anderer Belange.

Ein wesentliches Anliegen ist mir dabei die erfolgreiche Fortführung der mittlerweile 18 Bände umfassenden Bibliothek des Eigentums. Dabei lassen sich zugleich neue Möglichkeiten nutzen, wie eine open access Publikation, die die Inhalte der Bibliothek einem breiteren Publikum zugänglich macht. Die Publikation der Bände bedarf naturgemäß eines nicht unerheblichen zeitlichen Vorlaufs und einer intensiven wissenschaftlichen Ergründung der jeweiligen Fragestellungen. Thematisch möchte ich einen der nächsten Bände gerne dem Erbrecht widmen, das in der Bibliothek bislang noch nicht abgebildet ist. Hier stellen sich gleichsam grundlegende wie auch aktuelle Fragen. Daneben sind auch Formate wichtig, die stärker auf (tages-)politische Fragen eingehen können und Diskussionsforen bieten. Hier hat die Stiftung mit den Dachgartengesprächen, den Policy Papers und der Interviewreihe „Drei Fragen zum Eigentum“ in jüngerer Zeit bereits drei Formate etabliert, die weiter ausgebaut werden sollen.

Seit der Gründung der Deutschen Stiftung Eigentum im Jahr 2002 haben Sie, Herr Professor Depenheuer, als Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats die Bibliothek des Eigentums herausgegeben, insgesamt 18 Bände. Welche Themen waren Ihnen besonders wichtig? 

Depenheuer: Die wichtigste Funktion des Eigentums in einer sich rasant ändernden Welt scheint mir zu sein, sich auf das zu konzentrieren, was Eigentum vermitteln kann: Dem Einzelnen eine effektive Garantie eigener, realer Beherrschbarkeit zu geben. In einer sozialistischen Ordnung hat der Einzelne nur Anteilsrechte, die aber der Zuteilung durch Dritte, Bedingungen und Auflagen normiert und kontingentiert sind, den Einzelnen also existentiell abhängig werden lassen. In der aufziehenden digitalen Welt entziehen sich weitere zentrale Elemente der Lebensbewältigung der individuellen Beherrschbarkeit. Gerade vor diesem Hintergrund gewinnt die Idee der Eigentumsgarantie immer mehr an Bedeutung, weil der Einzelne sich grundsätzlich auf dessen Bestand und Verfügbarkeit verlassen kann. Seine Bedeutung liegt also im Zeitalter – virtueller und realer – Mobilität in seiner kompensatorisch wirkenden Immobilität: Als Medium von Heimat und Umwelt bleibt das Eigentum Identifikationsfaktor gerade in einer global agierenden Gesellschaft.

Froese: Das stimmt und gilt besonders in Zeiten von großer Unsicherheit, Zukunftsängsten und Sorgen angesichts der Herausforderungen durch mehrere Krisen (Angriffskrieg gegen die Ukraine, Energie- und Wirtschaftskrise, Klimawandel). Dem Eigentum kommt hier eine versichernde und stabilisierende Funktion zu. Andererseits impliziert Eigentum aber auch Verantwortung und so verwundert es nicht, dass auch Eigentümern die gegenwärtigen Entwicklungen Sorgen bereiten. Wer Grundbesitz hat, wird sich fragen, wie er sein Haus fit für die Zukunft machen kann, insbesondere in energetischer Hinsicht. Das ist aber längst nicht die einzige Herausforderung. So hat etwa eine alternde Gesellschaft andere Wohnbedürfnisse. Wenn die Politik zugleich – zu Recht – sicherstellen will, dass das Wohnen zur Miete, auf das breite Teile der Bevölkerung angewiesen sind, bezahlbar bleibt, stellt sich die Frage, wer die Herausforderungen in finanzieller Hinsicht schultern soll. Die aktuell geführte Diskussion um das „Aus“ für Öl- und Gasheizungen zeigt, wie emotional solche Fragen besetzt sind und welche Gratwanderung die Politik hier meistern muss.

Die sozial-ökologische Transformation tangiert das Eigentumsgrundrecht in vielerlei Hinsicht. Aktuell diskutiert wird etwa, dass die Natur selbst Rechtssubjekt und damit nicht Eigentumsobjekt sein sollte. Solchen Akzentverschiebungen widme ich mich gemeinsam mit führenden Expertinnen und Experten aus der Rechtswissenschaft in dem nächsten Band der Bibliothek des Eigentums, der im kommenden Jahr erscheinen soll.

Braucht es Verbesserungen bei der ökonomischen Bildung junger Menschen in den Schulen, um die Bedeutung von Eigentum für eine unabhängige Lebensführung deutlicher zu machen?

Depenheuer: Das wäre ebenso schön wie notwendig, allerdings bin ich skeptisch, ob sich dies in der gegenwärtigen Situation bildungspolitisch durchsetzen ließe. Ich fürchte, dass erst eine schwerwiegende Erschütterung des Wohlstandsstaates hier zu einem Umbruch im Denken und Handeln führen könnte. Das Grundgesetz mit seinem großartigen Freiheitsversprechen war auch erst möglich vor dem Hintergrund der größten Katastrophe in der deutschen Geschichte. Sowas kann man sich natürlich nicht wünschen; doch leider lehrt die Geschichte immer wieder, dass nur das Wissen um die steten Gefährdungen einer freiheitlichen Gesellschaft eine Rückbesinnung auf die grundsätzlichen Werte der staatlichen Gemeinschaft nachhaltig revitalisieren kann. Und dazu gehört in erster Linie die effektive Garantie des privaten Eigentums.

Eigentum und materielle Lebenssicherheit hängen eng zusammen. Wo steht Deutschland bei den Themen Wohneigentum und kapitalgestützte Altersvorsorge? Was kann die Bundesregierung besser machen?

Froese: Das Bundesverfassungsgericht formuliert in ständiger Rechtsprechung, der Eigentumsgarantie komme die Funktion zu, dem Grundrechtsträger einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu erhalten und dem Einzelnen damit die Entfaltung und eigenverantwortliche Lebensgestaltung zu ermöglichen. Wer über Wohneigentum verfügt, hat im Vergleich zu einem Mieter eine andere Sicherheit im Alter, aber auch bei Krankheit und in anderen Wechselfällen des Lebens. In Deutschland ist die Eigentumsquote aber im europäischen Vergleich ausgesprochen gering. Lediglich die Hälfte der Deutschen verfügt über Wohneigentum. Gerade wegen der wichtigen Alterssicherungsfunktion, die das Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung betont, wäre es wünschenswert, bessere Zugangsmöglichkeiten zum Eigentum für breite Schichten der Bevölkerung zu schaffen. Der Staat muss zunächst die Ermöglichungsbedingungen für den Eigentumserwerb gewährleisten und sollte wichtige Anreize setzen. Es ist dann Sache des Einzelnen, hiervon Gebrauch zu machen.

In der Bundeshauptstadt Berlin wird über Enteignungen und Vergesellschaftungen von Wohneigentum diskutiert, um soziale Zielsetzungen zu erreichen. Fehlt es an Respekt vor dem Eigentum? Welche Möglichkeiten sehen Sie, mit ökonomischen Mitteln die angestrebten politischen Ziele zu erreichen?

Froese: Die Diskussionen um die Vergesellschaftung von Wohnraum zeigen, dass das Wohnen eine zentrale Frage für viele Menschen ist. Die Politik greift dies auf und sucht nach Lösungen. Diese können mit Eingriffen in das Eigentum der Vermieter verbunden sein, wie das Beispiel der sog. Mietpreisbremse zeigt. Wichtig ist aber, sich politisch und rechtlich zu vergewissern, welchem Missstand begegnet werden soll und welches Mittel hierzu geeignet und angemessen ist. In Berlin (wie auch in anderen Großstädten) besteht das Problem, dass es viele Menschen in die besonders begehrten Viertel zieht und sich dies preisbildend auswirkt. Eine marktwirtschaftliche Antwort hierauf ist der Wohnungsbau, der nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage auch preisbildend wirkt. Dieser ist aber nicht von heute auf morgen zu bewerkstelligen und durch Fachkräftemangel, Preissteigerungen und lange Lieferzeiten zusätzlich herausgefordert. Eine sozialstaatliche Antwort ist die Unterstützung besonders bedürftiger Personengruppen, insbesondere durch Wohngeld. Und eine realistische Antwort, mit der man aber keine Wählerstimmen gewinnen dürfte, ist die Einsicht, dass auch die beste Wohnungspolitik nicht gewährleisten wird, dass ein jeder in den besonders beliebten Vierteln wird wohnen können. Es geht also auch um Fragen der Verteilungsgerechtigkeit beim Zugang zum knappen Gut „bezahlbarer Wohnraum in begehrter Lage“.

In einer Gesellschaft, die Chancengleichheit hoch bewertet, werden das Eigentum und seine Vererbung oft als Ursache der Weitergabe von Ungleichheit empfunden. Ist das Erbrecht noch zeitgemäß?

Froese: Das Grundgesetz spricht da eine eindeutige Sprache: Es gewährleistet das Erbrecht sowohl als Individualgrundrecht wie auch als Institut. Dass sowohl das Eigentum als auch das Erbrecht in einer Vorschrift – Art. 14 GG – geschützt sind, zeigt den engen Zusammenhang, der zwischen beiden Gewährleistungen besteht. Das Eigentum geht mit dem Tod des Erblassers nicht unter, sondern wird perpetuiert.

Depenheuer: Das Erbrecht als Verfügungsbefugnis in der Generationenfolge ist gleichsam der Lackmustest dafür, ob es sich um eine Position mit Eigentumsqualität handelt. Das bedeutet nun aber nicht, dass das Erbrecht, so wie es aktuell einfachrechtlich geregelt ist, zwingend wäre. Wie das Eigentum, so kann der Gesetzgeber auch das Erbrecht ausgestalten und dabei in den Grenzen der Verfassung gesellschaftspolitische Akzente setzen.

Die angespannte Situation der öffentlichen Haushalte führt immer wieder zu Forderungen nach einer Vermögenssteuer. Wie ordnen Sie das verfassungsrechtlich ein?

Froese: Bis heute ist nicht geklärt, ob die Auferlegung von Steuern das Eigentumsgrundrecht oder lediglich die allgemeine Handlungsfreiheit tangiert. Jedenfalls dürfen Steuern keine „erdrosselnde Wirkung“ haben. Wann das der Fall ist, darüber lässt sich trefflich streiten; von einer fixen Obergrenze für die steuerliche Gesamtbelastung geht das Bundesverfassungsgericht inzwischen nicht mehr aus.

In einem Beschluss aus dem Jahr 1995 erklärte das Bundesverfassungsgericht die damalige Vermögenssteuer für verfassungswidrig. Seit 1997 wird die Vermögenssteuer in Deutschland nicht mehr erhoben. Das bedeutet aber nicht, dass der Gesetzgeber prinzipiell gehindert wäre, eine Vermögenssteuer einzuführen. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung an. Diese muss insbesondere vor den Freiheitsgrundrechten und dem allgemeinen Gleichheitssatz Bestand haben.

Eine wichtige Rolle spielt hier zudem der Vertrauensschutz. Besonders schwierig gestaltet sich die Bewertung der Vermögensgegenstände: Diese ist bei Bargeld oder Aktien noch vergleichsweise einfach, bei Kunstobjekten oder Immobilien hingegen deutlich schwieriger. Darin liegt nicht bloß eine praktische Herausforderung: Ungleiche Bewertungen verstießen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG); genau hieran ist die damalige Vermögenssteuer verfassungsrechtlich gescheitert. All dies sagt aber natürlich noch nichts darüber aus, ob die Einführung einer Vermögenssteuer politisch und wirtschaftlich zweckmäßig wäre.

 

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